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Spitz oder Spitze sind in aller Regel pointierte Aussagen zum Zeitgeschehen. Dies kann, muss aber nicht die Politik betreffen. Es kann auf die Gegenwart oder auch auf die Vergangenheit gemünzt sein. Spitz ist eine Aussage dann, wenn sie sticht, der betreffenden Person oder Personengruppe wehtut, spitze, wenn sie ausgezeichnet formuliert ist und im Idealfall zudem die Wahrheit abbildet. Fi/ündig, wenn der beschriebene Umstand nicht ganz offensichtlich, also erst zu ergründen ist. Und -keit lässt auf unterschiedliche menschliche Eigenheiten/-schaften schließen, wie beispielsweise Eitelkeit, Heiterkeit, Überheblichkeit oder, oder. Alles zusammengenommen eine echte Spitzfindigkeit. In unserer Kolumne ‚Spitz-findig-keit‘ zitieren wir in lockerer Folge jeweils zwei oder drei Aussagen und verschonen dabei auch nicht klassische Denkerinnen und Denker.
Um Denkanstöße zu geben, die Freude am Formulieren zu wecken – nichtzuletzt auch um dem Humor in unserer doch etwas trostloseren Zeit wieder mehr Geltung zu verschaffen. Erhöht das Wohlbefinden. Packen wir es an! Ich sage nicht, wir schaffen das. Aber wir probieren es auf jeden Fall!
Vorbemerkung
Es gibt nach Immanuel Kant auch eine falsche Spitzfindigkeit, die wir uns hier allerdings nicht zu eigen machen wollen. Wer dem dennoch nachgehen möchte – Die falsche Spitzfindigkeit der vier syllogistischen Figuren – kann dies hier gerne tun.
Heute werfen wir stattdessen ein paar Seitenblicke auf die Musikszene und halten Besonderheiten fest.
1. Spitz-findig-keit
Die Person Peter/Pjotr Tschaikowsky (1840-1893) wird in der NZZ vom 29.3.2023 aus aktuellem Anlaß thematisiert. Ein Russe, genial – man denke nur an die Ballettmusiken „Schwanensee“ oder „Dornröschen“ – und schwul. Und mit einer Ehefrau – Antonina Tschaikowskaja (1848-1917) – gesegnet, die ihn in eine temporäre Schaffenskrise und sich selbst, parallel zum Niedergang des Zarenreichs, in den Wahnsinn trieb. Eine Ehe, die nie geschieden, auch nicht vollzogen wurde und nur wenige Wochen währte.
Darüber hat Kirill Serebrennikow „Tchaikovsky’s Wife“ gedreht, der letztes Jahr als einziger russischer Film sieben Wochen nach dem Überfall auf die Ukraine bei den Filmfestspielen in Cannes gezeigt wurde. „Man kennt sie, schon mehrfach wurde die Geschichte dieser tragischen Mesalliance nebst anderen Geschehnissen aus Tschaikowskys kolportagehaftem Leben nacherzählt in Romanen und im Film. Tschaikowsky war, wie sein Bruder, der Dramatiker Modest, homosexuell. Das konnte zwar, zumindest unter Künstlern, durchaus heimlich ausgelebt werden. Aber es war, damals wie heute, in Russland strafbar. Um seine Karriere voranzutreiben und um des gesellschaftlichen Status willen heiratete Tschaikowsky also im Juni 1877 eine Musikstudentin.“
Diese liebte ihn abgöttisch, war fromm, betete, gab den Armen und glaubte „… an das Gute, vor allen Dingen an die gute Seele ihres Pjotr. Denn wer so eine schöne Musik schreibe, der müsse einfach ein guter Mensch sein.“ So von Eleonore Büning in der NZZ wiedergegeben. Der von Antonina unterstellte Zusammenhang von schöner Musik und „gut sein“ dabei offensichtlich ein Irrtum.
2. Spitz-findig-keit
Nashville im US-Bundesstaat Tennessee, die „Music City„, so wie wir sie schon mehrfach – unter anderen hier und hier – erlebt haben. Sie wirbt mit „There’s always something going on in Nashville: from professional sports to art exhibits, awards shows and festivals – and all set to the soundtrack of live Nashville music. This town’s all about having a good time, and we’re doing it safely so we can keep the music playing.“ Nun gibt es aber sehr traurige Nachrichten aus der Stadt des kommerziellen Country-Songs.
Das Geschehene
Die Zeit vom 29.3.2023 berichtet über das schreckliche Geschehen an einer christlichen Privatschule. Eine 28-jährige Person hat am Montag dort drei neun Jahre alte Kinder und drei Erwachsene getötet – die Schulleiterin, eine weitere Frau und einen Mann. Die noch am Tatort von der Polizei erschossene Person wurde zunächst als Frau identifiziert. „Es handle sich um eine ehemalige Schülerin … .“ Später hieß es, „… dass sich der mutmaßliche Schütze offenbar als transsexuell identifizierte. In den sozialen Medien benutzte er ausschließlich männliche Pronomen.“
Die Kommentierung
Die NZZ vom 30.3.2023 kommentiert wie folgt: „Solche und ähnliche Tragödien ereignen sich immer häufiger in den USA. … Es ist wohl eine Gewalttat, die auch als erweiterter Suizid bezeichnet werden kann: Ein lebensmüder Mensch reisst andere Menschen mit in den Tod. Wieder möchten wir das Unfassbare begreifen und versuchen die Hintergründe der Tat, die möglichen Motive zu eruieren. Das ist verständlich. Aber es gibt gute Gründe, auf solche Spekulationen in der Öffentlichkeit, auf sozialen Plattformen und in den Medien zu verzichten – oder zumindest Zurückhaltung zu üben.“
Dazu die glasklare Schlußfolgerung: „Berichte über Morde führen … zu noch mehr Morden.“ Schon in 2018 forderte ein amerikanisches Fachjournal: „Don’t name them, don’t show them, but report everything else.“ Auch für uns gilt: „Wer immer … über Mord, erweiterten Suizid, Femizid oder andere Gewalttaten berichtet – ob auf sozialen Plattformen, Blogs oder in den Medien -, sollte sich bewusst sein: Dadurch werden solche Taten – auch für potenzielle Gewalttäter – oft erst vorstellbar.“
3. Spitz-findig-keit
DerStandard vom 22.3.2023 berichtet von einer aktuellen, im Journal „Current Biology“ veröffentlichten Studie: „Über die Gesundheit des weltbekannten Komponisten Ludwig van Beethoven wurde in der Vergangenheit viel gemutmaßt. Bisher musste man sich dafür vor allem an historischen Dokumenten orientieren. Nun gibt es eine neue Quelle von Informationen. Einem internationalen Team ist es anhand von Haarsträhnen erstmals gelungen, das Genom des Komponisten zu sequenzieren.“
Beethoven – geboren im Dezember 1770 und aufgewachsen in Bonn, 1792 umgezogen nach Wien, dort gestorben 1827 -, alles was zu wissen über ihn lohnt, festgehalten auf BR Klassik anläßlich des 250. Geburtstages. Nun stellt die neue Studie bedeutende genetische Risikofaktoren für seine Lebererkrankung fest und wirft Fragen bezüglich seines frühen Todes auf. Das Forscherteam vermutet, dass bei ihm eine Hepatitis-B-Infektion zur Leberzirrhose geführt hat und durch seinen (wohl nur durchschnittlichen?) Alkoholkonsum und das genetische Risiko verschlimmert wurde.
Darüber hinaus förderte der genetische Vergleich mit lebenden Nachkommen der Familie Beethoven in Belgien einen Bruch in der väterlichen Linie zutage. „Irgendwann zwischen 1572 und der Zeugung von Ludwig van Beethoven, etwa sieben Generationen später, muss es ein Kind aus einer außerehelichen Beziehung in Beethovens väterlichen Linie gegeben haben.“ In welcher Generation genau dieser „Seitensprung“ geschah, dies festzustellen bleibt späteren Genomanalysen vorbehalten. So Anna Tratter im DerStandard.
Dazu neun Kommentare – auch lustige mit Wiener Schmäh – von insgesamt 245
– Wieso gilt Beethoven als deutscher Komponist aber Händel als deutsch-englischer Komponist. Beethoven übersiedelte schon als 22-jähriger vom Rheinland nach Wien, Händel erst als 27-jähringer von Sachsen nach London. Vielleicht, weil Beethoven nicht in der Stephanskirche und Händel dagegen in der Westminster Abbey beigesetzt wurde?
– „Beethoven hatte zu Lebzeiten bekanntermaßen mit einigen gesundheitlichen Problemen zu kämpfen.“ … danach nicht mehr?
– eine nette anektote … … nicht mehr und nicht weniger. konsequenz = 0
– Wann wird die begraben?
– Dass er Alkoholiker war ist schon lange bekannt. Bei Musikern nichts außergewöhnliches.
– ? Die ganze Welt weiß, dass Beethoven Österreicher war (und Hitler Deutscher)!
– Ist es gelungen, die 33. Sonate aus dem Genom herauszusequenzieren?
– Nein. Was als eindeutiger Beweis gilt, dass das Werk nicht von ihm stammt.
– der Alk(ohol) hat seiner Leber aber sicher nicht gut getan, wenn er Hepatitis B hatte. Nur frage ich mich: welche Nachkommen? Er selbst hatte ja keine. Zumindest sind mir keine bekannt. Müssen also wohl von seinen Geschwistern stammen. Und ja, Kuckuckskinder gab (und gibt) es viele, wäre ja eher ein Wunder wenn in einem Stammbaum da kein solcher Bruch gefunden wird. Nicht vergessen: mit jeder Generation verdoppelt sich in der Regel die Anzahl der Vorfahren, wobei es auch den Ahnenschwund gibt – durch Hochzeit unter Cousins/Cousinen. Das war auch nicht so unüblich. (JG: siehe Albert/Victoria im englischen Königshaus – #100).
Und hier schauen wir uns erneut eine alle betreffende Unordnung an.
#PreppoKompakt
Na, ein paar Dinge haben wir heute dazugelernt. Dabei ist mir Beethovens 9. Sinfonie „Freude, schöner Götterfunken“ weitaus lieber, als die nicht existierende 33. Sonate.