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Spitz-findig-keit #165

8 minutes

Spitz oder Spitze sind in aller Regel pointierte Aussagen zum Zeitgeschehen. Dies kann, muss aber nicht die Politik betreffen. Es kann auf die Gegenwart oder auch auf die Vergangenheit gemünzt sein. Spitz ist eine Aussage dann, wenn sie sticht, der betreffenden Person oder Personengruppe wehtut, spitze, wenn sie ausgezeichnet formuliert ist und im Idealfall zudem die Wahrheit abbildet. Fi/ündig, wenn der beschriebene Umstand nicht ganz offensichtlich, also erst zu ergründen ist. Und -keit lässt auf unterschiedliche menschliche Eigenheiten/-schaften schließen, wie beispielsweise Eitelkeit, Heiterkeit, Überheblichkeit oder, oder. Alles zusammengenommen eine echte Spitzfindigkeit. In unserer Kolumne ‚Spitz-findig-keit‘ zitieren wir in lockerer Folge jeweils zwei oder drei Aussagen und verschonen dabei auch nicht klassische Denkerinnen und Denker.

Um Denkanstöße zu geben, die Freude am Formulieren zu wecken – nichtzuletzt auch um dem Humor in unserer doch etwas trostloseren Zeit wieder mehr Geltung zu verschaffen. Erhöht das Wohlbefinden. Packen wir es an! Ich sage nicht, wir schaffen das. Aber wir probieren es auf jeden Fall!

Spitzfindigkeiten zuhauf!

Vorbemerkung

Es gibt nach Immanuel Kant auch eine falsche Spitzfindigkeit, die wir uns hier allerdings nicht zu eigen machen wollen. Wer dem dennoch nachgehen möchte – Die falsche Spitzfindigkeit der vier syllogistischen Figuren – kann dies hier gerne tun.

Heute tasten wir uns lieber über den nervigen Gendersprech zur universellen Sprache der Musik vor.

1. Spitz-findig-keit

Im Infobrief des Vereins Deutsche Sprache (VDS) vom 6.5.2024 wird unter der Überschrift „Doppelmoral bei hart aber fair“ über die Sendung des ARD-Politik-Magazins vom 29. April berichtet. Dabei kreuzten unter anderem der stellvertretende Chefredakteur der Welt, Robin Alexander, und der Vorsitzende der Jusos, Philipp Türmer, allerdings auf einem Nebenkriegsschauplatz friedlich die Klingen.

Alexander zufolge hassen die Leute Gendern. „Sprache sei etwas Latentes, man benutze sie, ohne über sie nachzudenken und sie sich bewusst zu machen. Wenn dieses Latente gestört wird, fänden die Leute das schrecklich … „. Türmer konterte mit: „Ich gendere, weil ich es richtig finde, und weil ich finde, dass alle Geschlechter in der Sprache vorkommen sollen.“

Wie ein vom VDS erstellter und bei X und Facebook hochgeladener Zusammenschnitt zeigt, hat Türmer jedoch die von Alexander angesprochene Latenz selbst verinnerlicht. „Türmer gendert gerade nicht. Vielmehr spricht er natürlich und ungezwungen von Bürgergeldempfängern, Muslimen und Menschenfängern. Doppelnennung oder Glottisschlag? Fehlanzeige.“ Wenn das nicht Mut macht!

2. Spitz-findig-keit

Ein monumentales Werk ist 200 Jahre alt geworden. Beethovens letzte Symphonie, laut FAZ-Newsletter vom letzten Dienstag eines der bekanntesten Stücke der Musikgeschichte, wurde am 7. Mai 1824 in Wien uraufgeführt. Nach der Ouvertüre „Zur Weihe des Hauses“, op. 124, folgten damals drei Teile aus der Missa solemnis, op. 123, und schließlich die neunte Symphonie, op. 125 (zur unvorstellbar langen Liste der Werke siehe Wikipedia). Deren Finalsatz bedient sich bekanntermaßen als Gesangsvorlage Friedrich Schillers Gedicht „An die Freude“ aus dem Jahre 1785. „Heute jedenfalls ist die ‚Ode an die Freude‘, wie der vierte Satz der Symphonie heißt, deutlich mehr als ein (studentisches – JG) Sauflied. Eine von Herbert von Karajan arrangierte Instrumentalversion des Satzes ist seit 1985 die Hymne der Europäischen Union (bzw. der Europäischen Gemeinschaft).“

Entstehungsgeschichte der Neunten

Faz-net vom 6.5.2024 macht sich (hinter Schranke) im Gespräch mit der Beethoven-Forscherin Birgit Lodes Gedanken zur Entstehung, Uraufführung und Deutung der Neunten. Nicht nur zum Zusammenhang von opus 125 und 123 – „die Neunte setzt einfach die Erfahrung der Missa voraus“ -, oder zur ungewöhnlichen Aufstellung des Chores „… vor und nicht hinter dem Orchester … rechts und links vom Dirigenten“. Auch zur Inspiration Beethovens durch Immanuel Kant, was „… in der Neunten … an Stellen wie ‚und der Cherub steht vor Gott‘ oder ‚überm Sternenzelt muss ein lieber Vater wohnen'“ zu finden sei. „Ein musikalisches Fest zum ‚ewigen Frieden‘ – das war Beethovens Beitrag zum Kant-Jahr 1824, nur fünfzehn Tage nach dessen 100. Geburtstag.“ Stellt Jan Bachmann, Redakteur im Feuilleton, fest und Birgit Lodes geistesgegenwärtig „Nanu? Ja! Sie haben absolut recht!“ Unseren Beitrag zum aktuellen Kant-Jahr haben wir übrigens in der #163 geliefert.

Eindrückliche Uraufführung

In der NZZ vom 7.5.2024 bringt Christian Wildhagen unter der Überschrift „Die Neunte – bewundertes Meisterwerk und ideologischer Zankapfel“ seine Einschätzung zur kühnsten Sinfonie Beethovens zu Papier. Ein Werk, mit dem die Welt seither ringe.

Als im vierten Satz die Singstimmen einsetzen, hat Beethoven schon gut fünfzig Minuten lang rein instrumental mit sich, mit der Welt und mit Gott gerungen. Vor dem Dirigentenpult fuhr er „… wie ein Wahnsinniger hin und her. Bald streckte er sich hoch empor, bald kauerte er bis zur Erde, er schlug mit Händen und Füssen herum, als wollte er allein die sämtlichen Instrumente spielen, den ganzen Chor singen.“ Im Grunde eine sinnlose Dirigierpantomime, „ausgebügelt“ vom Kapellmeister Michael Umlauf, auf dessen Taktstock die Musiker sahen.

„Am Beginn des Finales kommt es zu einer katastrophischen Zuspitzung, zur sogenannten Schreckensfanfare, … mit den stärksten Dissonanzen …, die in der Spätklassik möglich waren. Zunächst antworten nur die tiefen Streicher auf diese Eruption: mit aufbegehrenden Gesten, dann mit einer leisen Ahnung der späteren Freudenmelodie … . Als jedoch bald darauf die Schreckensfanfare ein weiteres Mal ertönt, betritt der Mensch die imaginäre Szenerie. Mit dem sprichwörtlich gewordenen Ausruf ‚O Freunde, nicht diese Töne!‘, der von Beethoven selbst, nicht von Schiller stammt, verwirft der Bariton-Solist gleichsam die gesamte zuvor gehörte Musik. Der Chor stimmt ein, und jäh ist der Weg frei für die alle Negation hinwegfegende Freudenhymne.“ So Christian Wildhagen.

Musikgeschichte und Jubiläumsaufführung

Arte vom 7.5.2024 mit dem sehens- und hörenwerten Dokumentarfilm „Die Macht der Musik – 200 Jahre Beethovens Neunte“. Er führt durch zwei Jahrhunderte faszinierender Musikgeschichte, bevor die vier Sätze des Werks nacheinander aus den Opernhäusern in Leipzig, Paris, Mailand und Wien von vier exzellenten Klangkörpern mit vier ebensolchen Dirigenten – hier bis zum 7.5.2025 abrufbar – wunderbar präsentiert werden.

3. Spitz-findig-keit

DerStandard liefert uns aktuell und frei Haus das Ergebnis vom gestrigen Eurovision Song Contest aus Malmö. „Die Trophäe des Song Contests 2024 ging an Nemo aus der Schweiz. Österreichs Kaleen wurde Vorletzte. Die EBU (European Broadcasting Union) fiel vor allem als schlechte Krisenmanagerin auf.“ Der deutsche Beitrag wird dabei von Marco Schreuder nicht einmal erwähnt. Aber das sind wir ja gewohnt, vermutlich wieder letzter.

Der Blick auf faz-net bringt Klarheit: „Deutschland darf sich über einen sehr guten zwölften Platz freuen, mit dem selbst Isaak Guderian nicht gerechnet haben dürfte. Der Neunundzwanzigjährige bekam 99 Punkte von den Jurys, nur 18 von den Zuschauern. Dennoch ist es die beste Platzierung seit Michael Schultes vierter Platz 2018 mit ‚You Let Me Walk Alone‘. Isaak überzeugte vor allem durch seine Stimme, die Inszenierung auf der Bühne hingegen war nicht der Rede wert.“ In der ARD-Mediathek kann man das Ganze ein Jahr lang in voller Länge – rund vier Stunden – immer wieder anschauen.

Eine Frage bleibt: wird man sich der Lieder auch noch in 200 Jahren erinnern?

Widmung

Allen Müttern und meinem alten Schulfreund Gerd-Olaf gewidmet, der heute Geburtstag feiert.

Und hier geht es gleich weiter.

#PreppoKompakt

Allen Grund zur Freude. Deshalb, wer Ohren hat der höre, was manchmal gar nicht so einfach ist. Auch Ludwig van Beethoven hatte im Verlauf von zwei Jahrzehnten nach und nach sein Gehör verloren. Eine Sängerin drehte ihn – wie überliefert – vorsichtig an den Schultern zum Publikum, damit er den frenetischen Applaus wenigstens sehen konnte. Orchester und Chor hatten vor der Uraufführung übrigens nur zwei Probentermine zur Verfügung gestanden. Mit den Umständen seines Todes 1827, einschließlich der neugewonnenen Erkenntnisse aus einer Genomanalyse von Beethovens Haarsträhne, hatten wir uns schon in der #107 ausgiebig beschäftigt.

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